Was ist Ökologische Theologie, Jürgen Moltmann? Avatar-Foto

Mit Prof. Dr. Jürgen Moltmann führten wir im Vorfeld unseres Online-Kongresses ein schriftliches Interview. Er ist in der evangelischen Theologie eine der wichtigsten Stimmen einer „Ökologischen Theologie“. Wir freuen uns sehr, dass er bereit war, unsere Fragen zu beantworten.

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Sie sind Wegbereiter einer „ökologischen Theologie“. Was ist das Neue oder das Besondere daran?

In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts waren die Wegbereiter einer ökologischen Theologie Günter Altner und Gerhard Liedtke. Ich baute auf sie auf, als 1985 meine „Ökologische Schöpfungslehre: Gott in der Schöpfung“ erschien.

„Ökologie“ heißt der Umweltbezug der Lebewesen (Ernst Haeckel). Heute ist der „Umweltschutz“ in aller Munde. Gemeint ist der Umweltbezug der Menschen. Der Mensch ist die Mitte seiner Welt, seine Welt ist sein Machtbereich. Was die Welt für ihn bedeutet, ist die moderne Frage. Was er für die Welt bedeutet, ist die ökologische Frage.

Die moderne westliche Welt hat zwei Wurzeln: die Renaissance des 15. Jahrhunderts und die Entdeckung Amerikas 1492: Aus der Renaissance stammt der Anthropozentrismus der westlichen Welt und aus der Ausbeutung Amerikas stammt das Kapital zur Welteroberung. Dazu kam die Herrschaft über die Natur im 18. Jahrhundert durch Wissenschaft und Technik. Das theologische Menschenbild der Schöpfungsgeschichte „Gottes Ebenbild: Macht euch die Erde untertan“ rechtfertigte beides: die europäische Kolonisierung der Welt und die Herrschaft über die Natur der Erde.

Die kommende Naturkatastrophe, Klimawandel und Artensterben genannt, sind die Folgen. Wir müssen von der Weltherrschaft zur kosmischen Gemeinschaft kommen, wenn wir überleben wollen. „Die Menschheit ist Teil eines sich ständig fortentwickelnden Universums. Unsere Heimat Erde bietet Lebensraum für eine einzigartige und vielfältige Gemeinschaft von Lebewesen“. „Erkennen, dass alles, was ist, voneinander abhängig ist und alles, was lebt, einen Wert in sich hat, unabhängig von seinem Nutzwert für den Menschen“ (Erd-Charta von 2000).

Ökologische Theologie versucht, die Menschenwelt und die Naturwelt zusammenzufassen, Herrschaft durch Solidarität, Dominanz durch Lebensgemeinschaft zu ersetzen, Symbiosis ist das Ziel. Planetarische Solidarität und kosmische Spiritualität sind zu üben. Die kosmische Versöhnung und der kosmische Christus kehren zurück. „Wir erwarten das ewige Leben der zukünftigen Welt“ (Nizänisches Glaubensbekenntnis). So kehrt in der Hoffnung die „neue Schöpfung“ wieder.

Hat der Mensch eigentlich eine besondere Rolle innerhalb der Schöpfungsgemeinschaft? Die Frage stellt sich noch einmal schärfer, wenn wir anerkennen, dass wir Menschen erdzeitgeschichtlich erst seit Kurzem auf diesem Planteten sind – und vielleicht auch nicht mehr so lange.

„Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werdend das Erdreich besitzen“ (Matthäus 5, 5). Der „Herrschaftsauftrag“ der Menschen aus der Schöpfungsgeschichte ist heute angesichts der drohenden Naturkatastrophe in reiner biblischer Gestalt nicht mehr haltbar (er war es nie), denn er soll nicht nur „die Erde untertan machen“ und über alle Tiere „herrschen“, sondern „alles unter der Menschen Füße legen“, wie man es mit besiegten Feinden im alten Ägypten machte. „Furcht und Schrecken soll vor euch her sein über alle Tiere auf Erden …“ (Genesis 9, 2). Das hört sich eher an wie eine Kriegserklärung an die Erde und die anderen Lebewesen als eine Einladung zur Schöpfungsgemeinschaft.

Aber mit diesem „Herrschaftsauftrag“ ist die Gottebenbildlichkeit der Menschen gegeben. Das lässt theologisch nach „Gott dem Herrn“ fragen. Das 1. Gebot sagt: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe“ (2. Mos, 20, 2). „Auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit …“, schreibt Paulus Röm 8, 20. Gottes Herrschaft ist eine erlösende Befreiung, am Ende wird die befreite Schöpfung stehen. Die orthodoxe Theologie spricht von „Vergöttlichung der Schöpfung“: „Die gesamte Natur ist für Herrlichkeit bestimmt“.

Jesus der Herr: Die Liebe Gottes, die Jesus gelebt und verkündet hat, ist eine heilende, zurechtbringende und sanftmütige Liebe. „Nehmet auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“, sagt Jesus nach Matthäus 11, 28. Das orientiert das „Herrschen“ der Menschen an Sanftmut, nicht an Gewalt. Sanftmut hat „Ehrfurcht vor dem Leben“ (Albert Schweitzer) und Geduld mit dem Lebendigen. Sanftmut behandelt Lebewesen als Subjekte, nicht als Objekte. Geben und Empfangen regeln die Gemeinschaft der vielgestaltigen Lebewesen. Sanftmut sucht die Wahrheit, nicht die Macht. Der Leib der Wahrheit ist Frieden, darum gehört zur Sanftmut das „Friedensstiften“ und „der Hunger nach Gerechtigkeit“, wie die anderen Seligpreisungen Jesu sagen.

„Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen“ oder „erben“, nicht diejenigen, die die „Erde untertan machen“. Jesus war „bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm“ (Markus 1, 13), bevor er zu den Menschen kam. Wir erwarten, dass er bei Engeln war und Tiere ihm dienten. Es war aber umgekehrt. Jesus war „bei“ den wilden Tieren wie bei Freunden.

Sie sagen, die Erde sei ein „schöpferisches Geschöpf“. Das kommt der Gaia-Hypothese nahe, die ja besagt, dass die Erde ein sich selbsterhaltendes, Leben hervorbringendes System ist, quasi ein eigener lebendiger Organismus. Die Gaia-Hypothese sei Ihrer Meinung nach „kaum zu überschätzen“. Das hört man selten aus dem Munde eines Theologen.

Nach moderner Ansicht ist die Erde eine geistlose Ressource von materiellen und energetischen Gütern, voller „Bodenschätze“, die es auszubeuten gilt. Nach den heutigen Erdwissenschaften aber ist unser Planet Erde ein lebendiger Organismus, weil er Leben hervorbringt. Das ist die Gaia-Theorie von James Lovelock, die mich auf die Spur einer „Theologie der Erde“ gebracht.

Nach dem Schöpfungsbericht ist die Erde ein einzigartiges, Leben hervorbringendes Geschöpf: „Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut“ (Genesis 1, 11). „Sie bringe hervor lebendiges Getier“ (Genesis 3, 19). Die Erde reproduziert sich nicht selbst, wie alles Lebendige, sondern sie bringt anderes Leben hervor.

Die Erde steht im Bunde mit Gott. Hinter dem Noahbund steht ein direkter Bund der Erde ohne menschliche Vermittlung: Der Regenbogen soll ein Zeichen sein „des Bundes zwischen mir und der Erde“ (Genesis 9, 13).

Die blutgetränkte Erde ist Zeuge des ersten Brudermordes der Menschen: „Die Stimme des Blut deines Bruders schreit zu mir von der Erde“ (Genesis 4, 10). Für den Propheten Jesaja birgt die Erde ein Heilsgeheimnis: „Die Erde tue sich auf und bringe Heil. Gerechtigkeit wachse mir zu“ (45, 8). Das erinnert an das Adventslied: „O Erd, schlag aus, o Erd, das Berg und Tal grün alles wird. O Erd, hervor dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erde spring“ (Evangelisches Gesangbuch 7, Strophe 3). Die Ankunft des kosmischen Christus wird vom Himmel und aus der Erde erwartet.

Wenn wir es recht sehen, scheint eine „ökologische Theologie“ noch nicht zum Mainstream zu gehören. Woran mag das liegen? Oder ist unser Eindruck falsch?

Die „Ökologische Theologie“ gehört weltweit zum Mainstream der christlichen Theologie, sowohl katholisch wie evangelisch, nur in Deutschland hinkt die Theologie hinterher.

Uns stehen große Transformationsprozesse in nahezu allen Lebensbereichen bevor: Kohleausstieg, Mobilitätswende, klimaneutrales Wirtschaften usw. Wie sehen Sie die Rolle der Kirchen in dieser „Großen Transformation“?

Die Politik sieht den „großen Transformationsprozess“ nur technisch: erneuerbare Energien, recycling industries. Aber es gehört mehr dazu: ein neues Naturverständnis, ein neues Menschenbild, ein neuer Lebensstil und eine neue kosmische Spiritualität: eine Erfahrung Gottes. Die Theologie steht vor radikalen Herausforderungen. Sie war mit der modernen Welt evangelisch sehr verbunden.
Ich verweise nur auf die Bücher von Mark Hathaway und Leonardo Boff: „Befreite Schöpfung: Kosmologie – Ökologie – Spiritualität“ (Kevelaer 2016), und Heinrich Christian Rust: „Zuhause in der Schöpfungsgemeinschaft. Dimensionen einer ökologischen Spiritualität“ (Neufeld Verlag 2021). Siehe dazu auch Brigitte Enzner-Probst und Elisabeth Moltmann-Wendel: „Im Einklang mit dem Kosmos“. (Grünewald Verlag 2022).

Können Sie uns vor dem Hintergrund Ihrer Lebenserfahrung einen Rat für die Zukunft mitgeben?

Hoffnung macht neugierig auf die Zukunft!

Sehr geehrter Herr Moltmann, wir danken Ihnen für das Interview!

Die Fragen stellten Dr. Kathrin S. Kürzinger und Dr. Martin Horstmann.